Frauke Heistermann berät als Vorsitzende des Rates für Technologie die rheinland-pfälzische Landesregierung und hat wertvolle Tipps für angehende Gründerinnen und Gründer.

Innovationsland Rheinland-Pfalz: Die wirtschaftliche Vielfalt des Bundeslandes fördert den Fortschritt, findet Frauke Heistermann. Die Multi-Aufsichtsrätin und Vorsitzende des Rates für Technologie hat selbst erfolgreich in der Pfalz gegründet. Im Interview erklärt Heistermann, warum Gründungen Rückgrat brauchen und was ein Gemüseacker mit Innovation zu tun hat.


Frau Heistermann, Sie sind Vorsitzende des Rates für Technologie. Können Sie die Arbeit des Gremiums näher erläutern?

Antwort

Um unsere Arbeit nachvollziehen zu können, hilft es, zunächst unsere Hauptaufgabe besser zu kennen. Der Rat für Technologie ist kein Selbstzweck. Wir sind ein unabhängiges Gremium und beraten die rheinland-pfälzische Landesregierung zu Fragen rund um die Themen Innovations- und Technologiepolitik: Wie lassen sich Innovationen in Unternehmen steigern? Welche Technologien haben Zukunfts- und Entwicklungspotenzial? Und wie lässt sich das Zusammenwirken von Wirtschaft, Wissenschaft und Startups in Rheinland-Pfalz für mehr Innovationskraft nutzen? Im Rat sitzen
20 ehrenamtliche Expertinnen und Experten, davon je zehn aus der Wirtschaft sowie Wissenschaft. Es ist wichtig, dass wir vielschichtig aufgestellt sind: So können wir uns jeder Frage aus unterschiedlichsten Perspektiven nähern. Dazu treffen wir uns zweimal im Jahr zu Sitzungen in großer Runde. Außerdem haben wir je nach Fragestellung auch Experten-Hearings, Workshops oder diskutieren in E-Mail-Umläufen. Als Vorsitzende ist es mir wichtig, dass der Rat schnell und agil bleibt, deswegen sind auch unsere Arbeitsweisen flexibel. Zudem reden wir der Landesregierung gegenüber nichts schön, sondern teilen ihr unsere ehrlichen und objektiven Einschätzungen mit.

„Es ist wichtig, dass wir vielschichtig aufgestellt sind: So können wir uns jeder Frage aus unterschiedlichsten Perspektiven nähern.“

Der Rat für Technologie gibt der Landesregierung Handlungsempfehlungen, trifft selbst aber keine Entscheidungen. Mit welchen Fragen hat sich das Gremium zuletzt besonders intensiv beschäftigt?

Antwort

In unserer letzten Sitzungsperiode haben wir unter anderem an der Innovationsstrategie des Landes mitgewirkt und Input zum Aufbau der neuen Innovationsagentur geliefert. Wir haben uns auch mit der Frage beschäftigt, wie man Innovation eigentlich am besten vermarktet – denn gute Ideen zu haben, ist schön, aber die Welt muss auch davon erfahren. Unser Oberthema war also der Transfer zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Startups. Zu Beginn der jeweiligen Sitzungsperiode starten wir mit dem Brainstorming und legen dann fest, mit welchen Themen wir uns in dem Zeitraum schwerpunktmäßig beschäftigen. Wir wollen dabei auch Querverbindungen zwischen den Themenfeldern schaffen, zum Beispiel zwischen dem allgegenwärtigen Fachkräftemangel und den neuen Technologien: Gibt es vielleicht Wege, schon vorhandene Fachkräfte durch Technologie zunächst besser zu unterstützen, um den Engpass auszugleichen? Oder lassen sich umgekehrt neue Fachkräfte durch fortschrittliche Technologien anlocken? Zu Beginn unserer kürzlich gestarteten neuen Sitzungsperiode haben wir uns auch darüber ausgetauscht, wie das Land Rheinland-Pfalz junge Menschen motivieren kann, hier zu studieren, eine Ausbildung zu machen oder zu gründen. Vielleicht wird dies einer unserer neuen Schwerpunkte.

Mann mit AR-Brille in Industriehalle

Startups, kleine und mittelständische Unternehmen, landwirtschaftliche Betriebe: Rheinland-Pfalz punktet mit unternehmerischer Vielfalt. Inwieweit spielt dies eine Rolle für Innovationen „Made in Rheinland-Pfalz“?

Antwort

Heterogenität ist immer ein super Innovationstreiber, wenn man sie richtig nutzt. Wir in Rheinland-Pfalz sehen unsere vielfältigen Branchen nicht voneinander getrennt mit einem Tunnelblick, sondern immer die gesamte Bandbreite. Dadurch haben wir eine weite Perspektive – und diese nutzen wir, um Synergien und Erkenntnisgewinne zwischen den Branchen zu schaffen. Nehmen wir beispielsweise den hochspezialisierten Bereich der Sensorik und die Pfalz, „Deutschlands Gemüsegarten“, mit vielen landwirtschaftlichen Betrieben. Wie können wir jetzt moderne Technologien auf die Landwirtschaft übertragen? Zum Beispiel, indem wir sie für Wetterprognosen nutzen, oder anhand sensorischer Aufnahmen erkennen können, welche Düngemittel die Felder gerade brauchen. Das finde ich eine sehr schöne Übertragung von einer Branche in die andere. Ich sehe darin auch die Chance, neue Technologien für die Gesellschaft anschaulicher zu machen und Vorbehalte abzubauen: Einen Gemüseacker muss man nicht erklären. Und wenn die Menschen sehen, welche konkreten Vorteile innovative Technologien für den Acker bringen, dann wächst auch ihr Verständnis dafür.


Sie selbst haben ebenfalls in Rheinland-Pfalz gegründet. Wie verlief Ihre persönliche Gründungsgeschichte von der Idee bis zum jungen Unternehmen?

Antwort

Der Einfall, zu gründen, kam meinem Mann und mir bei einem Spaziergang im Pfälzer Wald. Im Jahr 1999 war das. Damals lief gerade der erste große Internethype. Wir kommen beide aus der Logistikbranche und hatten die Idee, mithilfe des Internets das bis dahin riesengroße Papiervolumen in unserer Branche und den damit verbundenen hohen manuellen Erfassungsaufwand durch digitalisierte Prozesse zu ersetzen und zu automatisieren. Zu dem Zeitpunkt wurden fast alle Sendungsaufträge manuell erstellt, dann gefaxt und anschließend wieder händisch in das Speditionssystem erfasst. Das wollten wir ändern: Unternehmen erfassen ihre Sendungsaufträge online via Web und wir leiten diese automatisiert direkt in die Systeme der Speditionen weiter. Daraus wuchs die Idee, als eines der ersten Unternehmen in Europa eine Cloud-basierte Plattform für das Lieferketten-Management zu gründen. So kam es dann auch. Gemeinsam mit einem Kollegen haben wir zunächst in Ludwigshafen gegründet, sind stetig gewachsen und schließlich nach Frankenthal umgezogen. Unsere Investorinnen und Investoren haben uns übrigens dazu geraten, unser Unternehmen nach Berlin oder München zu verlagern, doch wir sind standhaft geblieben. Im Rhein-Neckar-Gebiet wohnen viele Menschen und wir hatten nie Probleme, qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Außerdem sind wir hier zuhause. Auch heute noch gehe ich für das Weiterdenken von Ideen gerne im Pfälzer Wald spazieren. Die Bäume, die Weite – all dies empfinde ich als unterstützend, um kreativ zu sein.

„Auf jeden Fall benötigt man viel Mut, Motivation und Optimismus, ohne geht es nicht. “

 

Welche Ratschläge würden Sie angehenden Gründerinnen und Gründern in Rheinland-Pfalz aus eigener Erfahrung mit auf den Weg geben?

Antwort

Auf jeden Fall benötigt man viel Mut, Motivation und Optimismus – ohne geht es nicht. Denn natürlich besteht immer die Gefahr, dass eine Gründung scheitert. In den allermeisten Fällen ist jedoch das Schlimmste, das passiert, dass man sich einen neuen Job suchen muss – aber jede Menge wertvolle Erfahrungen gesammelt hat. Wichtig ist auch, zu verinnerlichen, wie relevant man selbst für den Erfolg des eigenen Unternehmens ist. Ich habe gelernt, keine Entscheidungen zu treffen, zu der andere geraten haben, hinter der ich selbst aber nicht stehe und sie nicht für richtig erachte. Rückgrat ist das Stichwort. Aus dem Grund haben mein Mann und ich zum Beispiel unser Unternehmen damals auch nicht nach Berlin oder München verlagert. Außerdem sollte man immer nah an der Kundschaft sein und den eigenen Markt selbst am allerbesten kennen. Es bringt nichts, eine innovative Idee auf den Markt zu werfen, aber dann keine Abnehmer zu finden. Man muss das eigene Businessmodell vertreiben können. Und auch, wenn es selbsterklärend ist: Angehende Gründerinnen und Gründer sollten nie verschwenderisch mit ihrem Kapital umgehen. Ich empfehle immer, die Umsätze lieber pessimistisch zu planen, denn wenn zu hohe Umsatzerwartungen nicht eintreffen, hat man schnell ein Kostenproblem. Außerdem: netzwerken, netzwerken, netzwerken. In Rheinland-Pfalz haben wir dafür eine großartige Landschaft, seien es die vielen Gründungsbüros an den Hochschulen, die Innovationsagentur, die nun ihre Arbeit aufnimmt, und viele weitere Angebote. Jeder Gründerin und jedem Gründer kann ich nur dazu raten, diese in Anspruch zu nehmen. Mir hilft es auch heute noch, mich regelmäßig und intensiv mit anderen auszutauschen.


„Tipps für Gründerinnen und Gründer“ 

1. Angebote zum Netzwerken intensiv nutzen.

2. Den eigenen Markt bestens kennen.

3. Maßvoll mit dem Gründungskapital haushalten.

4. Eigenverantwortung übernehmen.

5. Nicht den Mut und Optimismus verlieren.


Frauke Heistermann

gebürtig aus Lemgo (Ostwestfalen), lebt seit 1993 in Rheinland-Pfalz. „Ich finde diese Region wunderbar und bin sehr froh, hier zu leben“, sagt die Multi-Aufsichtsrätin und mehrfache Gründerin. Gemeinsam mit den anderen 19 Mitgliedern berät die Vorsitzende des Rates für Technologie die Landesregierung unabhängig in Fragen rund um die großen Themen Technologie und Innovation.

 

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